In Mexiko gibt es mehr Tiger in Privatbesitz als weltweit frei lebend. Der Wildtierhandel boomt und ist lukrativer als Drogenschmuggel. Exotische Tiere gelten als Luxusgut im Narcoland. Wer einen weissen Löwen hat, geniesst Anerkennung. Geboren für ein Leben in Gefangenschaft, ausgebeutet, gefoltert, vorgeführt und vernachlässigt. Die Fundacion Recica ist eine Auffangstation für Großkatzen und bemüht sich um den besseren Käfig.
2017 lerne ich die NGO das erste Mal kennen. 2019 besuche ich sie ein zweites Mal. Nur Kenny, mein Kameramann begleitet mich. Zu zweit zahlen wir umgerechnet 300 Euro „Eintritt“. Eigentlich gibt es keinen offiziellen Eintrittspreis, da die NGO eigentlich nicht öffentlich zugänglich ist. Ich habe Sonderstatus, da wir uns kennen und ich im Medienauftrag komme. Ich muss dazu sagen, dass die 300,00Euro gerade mal 15% der Monatskosten allein für Alimente sind.
Emilio Ángeles Ordóñez ist Gründer der Fundacion Recica. Als Besitzer einer Palettenfirma startete er die Fundacion Recica als reines Herzensprojekt. Ich bin direkt fasziniert von ihm. Er hat eine ruhige Ausstrahlung und es wirkt fast so, als würde ihm die Unterhaltung mit Tieren einfacher fallen als mit den Menschen.
Ein Spaziergang durch den Tigerkäfig
Sogleich wird uns die Pforte geöffnet und wieder beginnt der Besuch mit dem Video, dass ich schon kenne. Als wir auf Emilio stoßen, begrüßt er mich warmherzig mit einer Umarmung. „Herzlich Willkommen Taiga!“, sagt er lächelnd und öffnet uns ohne Vorwarnung die Tür zum Löwenkäfig. Wir bahnen uns einen Weg durch etwa 15 Tiere, die knochenknackend Fleisch reissen. Der Gedanke, dass jederzeit eines der Tiere nervös werden könnte und uns angreifen ist nicht abfällig- immer wieder hört man von Raubkatzen, die ihre Besitzer angreifen oder töten. Wir müssen aufpassen, nicht einem von ihnen auf den Schwanz zu treten oder gar das Gefühl zu vermitteln, Essenkonkurrenten zu sein.
Oft leben Besitzer und Tiere jahrelang zusammen. Es ist nie böse Absicht, dass es zu tödlichen Unfällen kommt, meist haben die Tiere Hunger oder fühlen sich in die Ecke gedrängt. Eine gute Beziehung schützt nicht vor Überfällen, denn eine Raubkatze bleibt ein Wildtier, ob in Gefangenschaft geboren oder nicht. Wen die Videos von Tier-Attacken interessieren, der wird fündig auf YouTube. Viel häufiger als Attacken sind Gewalt und Misshandlung von Tieren in Zoos und Zirkussen. Es werden grausame Methoden angewandt, um die Tiere psychisch zu brechen. Hier ein Beispiel von einem Zirkus in China.
Wir verlassen den Käfig unversehrt, aber mit Herzklopfen.„Nos vemos ahorita“ sagt Emilio.
20.000 Euro/ Monat braucht die Einrichtung allein für die Alimente von fast 200 Raubtieren
Etwa 900 000 Peso kostet es Emilio und sein Team monatlich, die Fundation Recica am Laufen zu halten. Ein ausgewachsener Löwe frisst um die 18kg Fleisch/ Tag. Ein ausgewachsenes Pferd reicht für 4 Tiger. Bei über 176 Raubkatzen ist das ein enormer Fleischkonsum, dazu kommen die Alimente für die anderen Tiere und die Milch für die Jungtiere.
Es braucht Spezialdraht für den Käfigbau und deren Instandhaltung erfordert unvorstellbare Geldsummen. Durch das Reiben, Beißen und Kratzen an den Hartdrahtzäunen entstehen ständig Reparaturarbeiten. Fast Wöchentlich kommen Neuzugänge, die versorgt werden müssen. Die Medizinische Versorgung wie Impfungen, Wundpflege und Operationen sind zusätzliche Kosten, die gestemmt werden müssen. Emilios gesamtes Privatvermögen fliesst in die Fundacion Recica. Urlaub, Feiertage, Ausflüge sind für ihn und seine Familie kaum möglich.
Obwohl die NGO über viele großzügige Spender verfügt, reicht das Geld nicht aus. Emilio´s Sorgen stehen ihm ohne Zweifel ins Gesicht geschrieben. „Oft kann ich nicht schlafen, die Zukunft macht mir Angst- das Geld reicht nicht aus.“
Der Wildtierhandel zwingt auch Tierliebhaber in die Knie
Einen Privatzoo aus seiner Fundation zu machen, sei das letzte was er will. Er erzählt, dass es ihm davor graut- die Tiere, die so viel gelitten haben wieder zur Schau zu stellen. Man dürfe Wildtierhandel in Mexico nicht unterstützen. Nichts erscheint ihm ferner und grausamer als dieser Gedanke und doch frage ich mich, wie lange sich die Fundacion Recica auf diese Weise halten kann?
Es gibt keinen Weg in die Freiheit, nur einen besseren Käfig
Ob ein Tiger als Potenzmittel, Jagdtrophäe oder als Fußmatte endet ist ein Unterschied zu dem Leben, was die Katzen unter Emilios Aufsicht erwartet. Obwohl diese Arbeit ein unaufhaltsamer Teufelskreis von Rehabilitation ist und nach wie vor ein Leben in Gefangenschaft bedeutet, so ist es doch ein Versuch aufzuräumen, was andere verkackt haben.
Nachhaltige Prävention kann in diesem Milieu nur durch Aufklärungsarbeit entstehen und indem der Wildtierhandel viel stärker kontrolliert und gefahndet wird. Emilio versucht die Fehler auszubügeln, so gut er eben kann. Mit einer Sensibilität, die man ihm im Umgang mit seinen Schützlingen einfach zugestehen muss. Die Affinität für Tiere ist ihm schon in die Wiege gelegt worden. Seit Kindheitstagen kümmerte er sich um Katzen, Hühner, Hunde, Häschen, und weitere Kleintiere.
Die Egozentrik des Menschen ist das Problem
Das größte Problem, sagt Emilio, ist die Egozentrik der Menschheit. Das besitzergreifende Verhalten und Denken unserer Gesellschaft, wilde Tiere domestizieren, dominieren und besitzen zu wollen.Die Macht über den König des Dschungels zu herrschen, ihn mit Geld kaufen, halten und vorzeigen zu können, scheint für viele Menschen das Prestigesymbol schlechthin. Ein Bengalischer Tiger macht sich gut, neben der Rolex oder auf dem Beifahrersitz im Luxusschlitten. Als wolle sich der Mensch Stärke, Potenz und Macht zurückholen, indem er einen weissen Löwen im Vorgarten hält. Was wir Menschen an Wildheit verloren haben, lässt sich auf diese Weise zumindest kleingeistig und egoistisch nach aussen tragen.
Was der Mensch an Dominanz und Wildheit verloren hat, holt er sich über ein wildes Tier zurück
Ziel der Fundacion Recica ist es, die Wildtiere in ein großes Grundstück in einem naheliegenden Wald umzusiedeln und für die Tiere naturgetreu anzulegen. Es gab schon mögliche Investoren. Und unzählige Gespräche dazu. Es gibt sogar schon das Gelände. Da jedoch immer kommerzielle Gedanken dahinter stecken, hat sich Emilio bis dato nicht dazu hinreissen lassen. Er möchte keinen Privatzoo schaffen, in einem Land, in dem die Privathaltung von Großkatzen der Ursprung des Problems ist. Bis heute konnte sich Emilio gegen diese Art von Angeboten wehren. Wie die Zukunft für seine Organisation und seine Tiere aussieht, ist unsicher.
2 Gedanken zu “Mexikos Wildtierhandel – Tiger zwischen Paletten”